Einführung einer Bezahlkarte für Asylbewerberleistungen

Betr: Sitzung des Sozialausschusses am 26.3.2025

Hier: TOP 7 „Einführung einer Bezahlkarte für Asylbewerberleistungen“

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit diesem Schreiben möchte ich Sie im Namen der Integration+ eindringlich darum bitten, der Einführung einer Bezahlkarte für geflüchtete Menschen im Asylbewerberleistungsbezug (inkl. der Geduldete) in unserer Gemeinde nicht zuzustimmen.

Alle Gemeinden in NRW können nach der Opt-Out-Regelung im Rahmen von §4 der Bezahlkartenverordnung eigenständig beschließen, nicht die Bezahlkarte einzuführen. Im Rhein-Sieg-Kreis haben sich im Rahmen des Arbeitskreises Asyl Ende Februar 2025 die Kommunen überwiegend gegen die Einführung ausgesprochen, da u.a. Rechtsunsicherheit bei der Umsetzung sowie Klageverfahren von Migrationsräten befürchtet werden.

Es gibt gewichtige Gründe, die gegen dieses Vorhaben sprechen:

  1. Hohe Kosten und bürokratischer Aufwand

Ausdrücklich genanntes Ziel der Einführung der Bezahlkarte ist die Reduzierung des Verwaltungsaufwandes. Jedoch ist das genaue Gegenteil der Fall: Mit der Bezahlkarte ist eine erhebliche Mehrbelastung kommunaler Behörden verbunden. Unsere Schutzsuchenden haben bereits alle ein eigenes (Basis-)Konto, auf welches die Sozialleistungen unkompliziert per Überweisung ausgezahlt werden. Dieses bewährte System stellt für alle Seiten die beste Lösung dar. Bei Einsatz der Bezahlkarte jedoch werden Sozialleistungen als Guthaben auf eine neu-auszustellende(Debit-)Karte gebucht, sie ist nicht mit einem regulären Bankkonto verknüpft. Die Umstellung auf ein komplett neues Modell bedeutet für die Verwaltung ein hohes Maß an Aufwand, zumal vor Ort erst einmal die (technischen) Voraussetzungen geschaffen werden müssen. Zudem sind die Sozialämter bei Verlust oder Defekt der Bezahlkarte im jeweiligen Einzelfall gehalten, die Karte zu sperren und eine neue Karte auszugeben. Hinzu kommt die planmäßige Ausgestaltung des Bezahlkartenmodells. Danach sind Überweisungsmöglichkeiten standardmäßig nicht vorgesehen. Außerdem kann der Anwendungsbereich der Karte auf das Gebiet einer bestimmten Postleitzahl eingegrenzt werden. Barmittel sollen den Leistungsempfängerinnen lediglich in Höhe des von den

 

Ländern vereinbarten Betrags von monatlich 50 Euro pro volljähriger Person zur Verfügung stehen. Die pauschale Begrenzung des Barbetrags wird in drei im Juli 2024 ergangenen Eilentscheidungen der Sozialgerichte Hamburg (S 7 AY 410/24 ER)4 und Nürnberg (S 11 AY 15/24 ER und S 11 AY 18/24 ER)5 für rechtswidrig befunden. Den Gerichten zufolge müssen die Behörden jeweils im konkreten Einzelfall prüfen, ob eine Deckung grundlegender Bedürfnisse mittels der Bezahlkarte möglich ist und wie hoch der zur Verfügung stehende Barbetrag ausfallen muss. Es ist absehbar, dass auch die Sozialgerichte in NRW dieser Argumentation folgen. Auch hier wäre die Folge wieder ein erhöhter, nicht ein geringerer Verwaltungsaufwand, zum einen durch die notwendigen individuellen Prüfungen und, insbes. wenn diese unterbleiben, zum anderen durch die zu erwartenden Widersprüche und Klagen. Zudem zeigen Erfahrungswerte aus der Praxis – z. B. aus Bayern, wo die Bezahlkarte bereits seit einigen Monaten zum Einsatz kommt –, dass lokale Entscheidungsträger vermehrt die Notwendigkeit gewisser Überweisungsmöglichkeiten anerkennen. Die Überweisung an bestimmte Empfänger wird dabei über eine sog. „Whitelist“ erlaubt. Gängige Empfänger, wie etwa lokale Sprachkursanbieter, können dabei pauschal freigeschaltet werden, in vielen Fällen muss jedoch eine individuelle Prüfung und Freigabe der Überweisungsziele durch Sachbearbeitende erfolgen. Die Bezahlkarte bringt also in dieser Hinsicht ebenfalls eine weitere Belastung der Behörden mit sich. Es ist daher äußerst fraglich, ob die von der Verwaltung geschätzten Kosten einer 0,5 Stelle (tarifliche Eingruppierung??) wirklich von unserem defizitären Gemeindehaushalt notwendigerweise übernommen werden sollte.

  1. Fehlende Effektivität als Steuerungsinstrument

Es gibt keine belastbaren Erkenntnisse darüber, dass die Art der Sozialleistungen einen maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidung zur Migration hat. Studien zeigen, dass Faktoren wie familiäre Bindungen, Sprachkenntnisse und berufliche Perspektiven eine wesentlich größere Rolle spielen. Daher ist es unwahrscheinlich, dass die Einführung einer Bezahlkarte die Migration in unsere Gemeinde signifikant beeinflussen würde.

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  1. Gefahr der Ausgrenzung und Stigmatisierung

Die Nutzung einer speziellen Bezahlkarte könnte dazu führen, dass Geflüchtete bei alltäglichen Transaktionen als solche identifiziert werden, was ihre gesellschaftliche Teilhabe erschwert und zu Diskriminierung führen kann. Eine solche Maßnahme würde die Integration behindern und ein Gefühl der Ausgrenzung verstärken. Die Bezahlkarte ist auch deshalb abzulehnen, weil sie diskriminierend und absehbar verfassungswidrig ist. Die Einführung der Karte würde bedeuten, dass die Leistungsempfänger über die im Falle der Gewährung von Grundleistungen nicht mal mehr frei verfügen könnten. Der fehlende Zugang zum bargeldlosen Zahlungsverkehr kann u. a. das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz der Karteninhaber gefährden, da Rechtsanwälte meist auf Ratenzahlung per Überweisung setzen. Geflüchtete Menschen werden zudem in ihrer Freiheit eingeschränkt, Verträge abzuschließen – egal ob Versicherungen, Telefonverträge, Online-Einkäufe, Aquarena oder das Deutschlandticket. Eine „Korrektur“ ist nach der bisherigen Praxis nur über den aufwändigen

 

Umweg der Whitelist möglich. Die Begrenzung des Barbetrags erschwert es den Betroffenen, in Geschäften, Kiosken oder auf Märkten einzukaufen, die keine (Debit-)Kartenzahlung bieten. Das gilt auch für Zahlungen bei der Post oder Einkäufe über Ebay. Selbst kleine alltägliche Ausgaben – beispielsweise Taschengeld für den Schulausflug der Kinder oder Münzen für die Benutzung öffentlicher Toiletten – würden zur Herausforderung werden. Verfassungsrechtlich zutiefst problematisch ist auch die Möglichkeit, die Nutzung der Bezahlkarte örtlich zu beschränken. In einem „Pilotprojekt“ der Stadt Velbert ist es den Betroffenen durch die örtliche Beschränkung des Einsatzes der Karte auf das Stadtgebiet so selbst verwehrt, andernorts preiswerter einzukaufen. Da eine räumliche Begrenzung der Karte auch z. B. Rückschlüsse auf geltende Aufenthaltsbeschränkungen zulässt, ist dadurch zudem der Weg eröffnet, Sozialleistungen als Kontroll- und Disziplinierungsinstrument zu missbrauchen – ein massiver Eingriff in die Würde und Handlungsfreiheit eines jeden Menschen.

  1. Datenschutzbedenken

Des Weiteren begegnet die Bezahlkarte gravierenden Bedenken in Bezug auf den Datenschutz. Ein wesentliches Problem ist die Möglichkeit des Einblicks der Behörden in die finanziellen Aktivitäten von Schutzsuchenden. Soll die Leistungsbehörde für Karteninhaber etwa über die Whitelist Überweisungsempfänger freigeben, werden den Sachbearbeitenden dadurch private und möglicherweise sensible Daten über die Antragsteller bekannt, z. B. hinsichtlich Konsumverhalten und Aufenthaltsorten. Die Konferenz der Datenschutzaufsichtsbehörden des Bundes und der Länder hat in einem Positionspapier vom 19.04.2024 ausdrücklich eine generelle Einsichtnahme der Leistungsbehörden in den Finanzverkehr der Leistungsempfänger als rechtswidrig eingestuft und auch Bedenken hinsichtlich der anlassbezogenen Einsichtnahme angemeldet. Darüber hinaus wurde u. a. die Weitergabe der Ausländerzentralregister-Nummer der Leistungsempfänger an nicht-staatliche Stellen – nämlich an die Anbieter der Bezahlkarte – als Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung kritisiert. Über diese Nummer ist der Zugriff auf äußerst sensible Daten möglich, es bestehe eine hohe Missbrauchsgefahr. Die Datenschutzaufsichtsbehörden problematisieren außerdem die Möglichkeit der Einsichtnahme der Sozialämter in den Guthabenstand auf den Bezahlkarten sowie die Möglichkeit der räumlichen Begrenzung der Karte.

  1. Alternative Lösungen sind verfügbar

Statt in ein neues und teures Bezahlsystem zu investieren, könnten wir auf bestehende Strukturen zurückgreifen, wie die Überweisung von Leistungen auf reguläre Bankkonten. Dies wäre nicht nur kosteneffizienter, sondern würde auch die Autonomie und Würde der Geflüchteten respektieren.

Angesichts dieser Punkte appellieren wir an Sie, im Sinne einer inklusiven und effizienten Gemeindepolitik von der Einführung der Bezahlkarte abzusehen und stattdessen Maßnahmen zu fördern, die die Integration und das Wohl aller

 Gemeindemitglieder unterstützen.

Bitte legen Sie den Fraktionen des Sozialausschusses unser Schreiben zur Diskussion vor.

Mit freundlichen Grüßen,

Für die IG INTEGRATION+

gez. Sabine Fix